
In der sich rasant entwickelnden Welt der erneuerbaren Energien ist die Optimierung jedes einzelnen Aspekts entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Während die Strompreisproblematik und Modulkosten oft im Mittelpunkt der Diskussion stehen, gewinnt ein lange unterschätzter Faktor zunehmend an Bedeutung: die Ausrichtung der Solarmodule.
Das vermeintliche Standardwissen – Solarmodule müssen nach Süden ausgerichtet sein – wird durch Marktveränderungen und technologischen Fortschritt zunehmend in Frage gestellt. Diese strategische Neuorientierung birgt erhebliche Konsequenzen für Investoren und Betreiber gleichermaßen und eröffnet völlig neue Perspektiven für die Wirtschaftlichkeit von Photovoltaik-Freiflächenanlagen.
Die Evolution der Ausrichtungsstrategien im Kontext aktueller Marktbedingungen
Die Ausrichtungsfrage hat sich parallel zur Preisentwicklung von Solarmodulen und Marktbedingungen entwickelt. Während der massive Preisrückgang bei Modulen – fast 90 Prozent in der letzten Dekade – Photovoltaik-Direktinvestments generell attraktiver gemacht hat, zwingen die sich ändernden Strommarktbedingungen zu einem Umdenken hinsichtlich der optimalen Anlagengestaltung. Der lange Abwärtstrend bei Modulpreisen, der nun im Jahr 2025 mit durchschnittlich 0,13 €/Wp für Hochleistungsmodule eine gewisse Stabilisierung erreicht hat, erlaubt es Investoren, den Fokus verstärkt auf Optimierungspotenziale jenseits der reinen Anschaffungskosten zu legen.
Klassischerweise wurden Module in einem Winkel von 25-35 Grad nach Süden ausgerichtet, um den maximalen Jahresertrag zu erzielen. Diese Konfiguration hat sich über Jahrzehnte als Standard etabliert und wurde selten hinterfragt. Mit der zunehmenden Marktdurchdringung der Solarenergie ergeben sich jedoch neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die eine differenziertere Betrachtung erfordern.
Kontrast der Erzeugungsprofile: Ertragsmenge versus Ertragswert
Die fundamentale Unterscheidung zwischen Süd- und Ost-West-Ausrichtung liegt im Erzeugungsprofil. Südausgerichtete Anlagen liefern ihren Spitzenertrag in den Mittagsstunden, wenn die Sonneneinstrahlung am intensivsten ist. Eine typische Südanlage in Mitteldeutschland erzielt einen spezifischen Jahresertrag von rund 1050-1080 kWh pro installiertem Kilowatt-Peak (kWp).
Im Gegensatz dazu verteilt eine Ost-West-Ausrichtung, bei der die Module flacher und in entgegengesetzte Richtungen montiert werden, die Stromerzeugung gleichmäßiger über den Tag. Die östlich ausgerichteten Module generieren ihre maximale Leistung am Vormittag, während die westlich orientierten Module am Nachmittag ihren Höchstwert erreichen. Der Gesamtertrag liegt mit etwa 980-1020 kWh/kWp rund 5-10 Prozent unter dem einer vergleichbaren Südanlage.
Diese rein mengenmäßige Betrachtung greift jedoch zu kurz. Der entscheidende Faktor ist nicht mehr die absolute Erzeugungsmenge, sondern der erzielbare Marktwert. Mit der Abkehr von festen Einspeisevergütungen hin zu marktnäheren Vergütungsmodellen wird der Zeitpunkt der Stromerzeugung zunehmend wichtiger.
Marktwertfaktor als neue Kennzahl der Wirtschaftlichkeit
Der Wert des erzeugten Stroms variiert erheblich im Tagesverlauf – ein Phänomen, das sich mit steigendem Solarausbau verstärkt. Durch das massive Angebot an Solarstrom in den Mittagsstunden fallen die Preise an der Strombörse genau dann stark ab, wenn südausgerichtete Anlagen ihr Produktionsmaximum erreichen. Man spricht vom sogenannten „Kannibalisierungseffekt“.
In Extremfällen können die Preise sogar in den negativen Bereich rutschen, was bedeutet, dass Erzeuger für die Einspeisung zahlen müssten. Diese Preisverhältnisse werden sich mit dem weiteren Ausbau der Photovoltaik in Deutschland – das Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht einen Ausbau auf 215 GW bis 2030 vor – noch verschärfen.
Ost-West-Anlagen hingegen produzieren mehr Strom in den Morgen- und Abendstunden, wenn die Nachfrage hoch und das Angebot aus anderen Solaranlagen geringer ist. Diese Zeiten sind typischerweise durch höhere Strompreise gekennzeichnet. Während der durchschnittliche Vermarktungspreis für eine südausgerichtete Anlage beispielsweise bei 5,8 Cent/kWh liegen kann, erreicht eine Ost-West-Anlage oft 6,5-7,0 Cent/kWh. Dieser Preisunterschied von rund 15 Prozent kann den Ertragsnachteil mehr als ausgleichen.
Flächeneffizienz als wirtschaftlicher Multiplikator
Ein weiterer entscheidender Vorteil der Ost-West-Ausrichtung liegt in der deutlich besseren Flächennutzung. Da die Module flacher aufgestellt werden (typischerweise in einem Winkel von 10-15 Grad statt 30 Grad bei Südausrichtung), können mehr Reihen auf gleicher Fläche platziert werden. Die typische Leistungsdichte erhöht sich von etwa 1,0-1,2 MWp pro Hektar bei Südausrichtung auf 1,5-1,8 MWp pro Hektar bei Ost-West-Ausrichtung – ein Zuwachs von 40-50 Prozent.
In Zeiten steigender Pachtpreise und zunehmender Flächenkonkurrenz stellt diese verbesserte Flächeneffizienz einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil dar. Bei durchschnittlichen Pachtkosten von 3.000-4.000 Euro pro Hektar und Jahr reduzieren sich die relativen Flächenkosten pro Megawatt um fast die Hälfte.
Zudem vereinfacht die höhere Flächeneffizienz die Projektentwicklung. Kleinere Flächen, die für konventionelle Südanlagen unwirtschaftlich wären, können mit einer Ost-West-Konfiguration rentabel erschlossen werden. Dies erweitert das potenzielle Standortportfolio und kann Genehmigungsverfahren vereinfachen, da die Anlagen einen geringeren Landschaftseingriff darstellen.
Technische Vorteile und Netzintegration
Die Ost-West-Ausrichtung bietet auch aus netztechnischer Sicht Vorteile. Das gleichmäßigere Einspeiseprofil ohne extreme Mittagsspitzen erleichtert die Integration in das Stromnetz und kann zu Einsparungen bei den Netzanschlusskosten führen.
Bei südausgerichteten Anlagen muss die gesamte Netzanschlusskapazität für die kurzen Spitzenleistungsphasen dimensioniert werden, während sie den Großteil der Zeit nicht voll ausgelastet ist. Ost-West-Anlagen nutzen die verfügbare Netzkapazität gleichmäßiger über den Tag, was die Wirtschaftlichkeit des Netzanschlusses verbessert.
Diese netzfreundlichere Einspeisecharakteristik kann insbesondere in Regionen mit bereits hoher PV-Durchdringung ein entscheidender Vorteil sein. In manchen Netzgebieten werden neue Südanlagen aufgrund der Mittagsspitzen nur noch mit Einspeisebegrenzungen genehmigt, während Ost-West-Konfigurationen volle Kapazität eingespeist werden darf.
Wetterabhängigkeit und regionale Optimierung
Bei der Wahl der optimalen Ausrichtung spielen auch regionale Wettermuster eine wichtige Rolle. Die häufig vereinfachte Annahme gleichmäßiger Sonneneinstrahlung entspricht selten der Realität. Viele Regionen zeigen charakteristische Bewölkungsmuster im Tagesverlauf.
In Norddeutschland beispielsweise, insbesondere in Küstennähe, tritt Morgennebel häufiger auf als Abendbewölkung. Hier kann eine stärkere Gewichtung der westlichen Komponente sinnvoll sein. In alpinen Regionen hingegen können nachmittägliche Gewitterbildungen die Westkomponente beeinträchtigen, was für eine Bevorzugung der östlichen Ausrichtung spricht.
Moderne Simulationstools ermöglichen heute standortspezifische Optimierungen der Modulausrichtung unter Berücksichtigung historischer Wetterdaten, lokaler Gegebenheiten und regionaler Strompreisprofile. Diese differenzierte Betrachtung führt zu maßgeschneiderten Lösungen, die den Ertragswert maximieren.
Wirtschaftlichkeitsvergleich anhand eines Praxisbeispiels
Die theoretischen Vorteile lassen sich am besten anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichen. Betrachten wir einen 20-MW-Solarpark in Mitteldeutschland unter den aktuellen Marktbedingungen 2025:
Südausrichtung:
- Spezifischer Ertrag: 1070 kWh/kWp
- Flächenbedarf: ca. 20 Hektar
- Gesamtertrag: 21,4 Mio. kWh/Jahr
- Durchschnittlicher Vermarktungspreis: 5,9 ct/kWh
- Jährliche Einnahmen: ca. 1,26 Mio. Euro
- Pachtkosten bei 3.500 €/ha: 70.000 €/Jahr
Ost-West-Ausrichtung:
- Spezifischer Ertrag: 995 kWh/kWp
- Flächenbedarf: ca. 13 Hektar
- Gesamtertrag: 19,9 Mio. kWh/Jahr
- Durchschnittlicher Vermarktungspreis: 6,8 ct/kWh
- Jährliche Einnahmen: ca. 1,35 Mio. Euro
- Pachtkosten bei 3.500 €/ha: 45.500 €/Jahr
Trotz eines um 7% geringeren Gesamtertrags erzielt die Ost-West-Variante rund 7,1% höhere Stromerlöse. Hinzu kommen Einsparungen bei den Pachtkosten von über 24.500 Euro jährlich. Bei einer typischen Projektlaufzeit von 30 Jahren summieren sich diese Vorteile auf einen erheblichen Betrag.
Nicht berücksichtigt sind in dieser vereinfachten Betrachtung weitere Vorteile wie reduzierte Netzanschlusskosten, geringere Abregelungsverluste und potenzielle Finanzierungsvorteile durch das gleichmäßigere Cashflow-Profil.
Anlagendesign und aktuelle Technologietrends
Die stabilisierten Modulpreise im Jahr 2025 (rund 0,13 €/Wp für Hochleistungsmodule) erlauben es, bei der Anlagenplanung verstärkt Qualitätsaspekte zu berücksichtigen. Der leichte Preisanstieg bei Mainstream-Modulen von 10,5% seit Ende 2024 unterstreicht die Bedeutung einer ganzheitlichen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung jenseits der reinen Anschaffungskosten.
Neue technologische Entwicklungen verstärken die Vorteile der Ost-West-Ausrichtung zusätzlich. Bifaziale Module, die Licht von beiden Seiten nutzen können, profitieren besonders von der flacheren Aufständerung. Der zusätzliche Ertrag durch die Rückseite kann bei Ost-West-Anlagen den Ertragsnachteil gegenüber Südausrichtungen weiter reduzieren.
Auch im Bereich der Wechselrichtertechnologie gibt es spezifische Optimierungen für Ost-West-Konfigurationen. String-Wechselrichter mit mehreren MPP-Trackern (Maximum Power Point Tracker) können die unterschiedlichen Einspeiseprofile der östlichen und westlichen Modulgruppen optimal bedienen und so die Gesamteffizienz des Systems verbessern.
Die Rolle der Speichertechnologie im Ausrichtungskontext
Die zunehmende Integration von Batteriespeichern in Photovoltaik-Projekte könnte die Ausrichtungsfrage nochmals neu beleuchten. Theoretisch könnten Speichersysteme die Produktionsspitzen südausgerichteter Anlagen puffern und den Strom zu Hochpreiszeiten ins Netz abgeben, was den Marktwertvorsprung von Ost-West-Anlagen verringern würde.
In der Praxis zeigen Wirtschaftlichkeitsberechnungen jedoch, dass auch in Kombination mit Speichern die Ost-West-Ausrichtung oft vorteilhaft bleibt. Der Grund: Die gleichmäßigere Erzeugung ermöglicht eine kleinere Dimensionierung des Speichers bei gleichem Effekt. Statt massive Mittagsspitzen zwischenspeichern zu müssen, kann die Batterie für eine feinere Optimierung des Gesamtsystems eingesetzt werden.
Mit den aktuellen Batteriepreisen von rund 250-300 €/kWh für Großspeicheranlagen stellt die Kombination aus Ost-West-Ausrichtung und intelligent dimensioniertem Speichersystem oft die wirtschaftlich optimale Lösung dar – ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gesamtsystemoptimierung zunehmend in den Vordergrund rückt.
Hybride Konfigurationen: Das Beste aus beiden Welten
Ein vielversprechender Ansatz für großflächige Solarparks sind hybride Konfigurationen, die Süd- und Ost-West-Elemente kombinieren. Ein Teil der Anlage wird dabei in klassischer Südausrichtung installiert, der andere Teil in Ost-West-Konfiguration.
Diese Mischform ermöglicht eine noch präzisere Anpassung an die spezifischen Standortbedingungen und Vermarktungsstrategien. Je nach Flächenzuschnitt, lokalen Wetterbedingungen und angestrebtem Einspeiseprofil kann das optimale Verhältnis zwischen Süd- und Ost-West-Komponenten individuell bestimmt werden.
Solche hybriden Lösungen erfordern eine komplexere Planung und eventuell auch differenzierte Betriebsführungskonzepte, bieten aber das Potenzial für maximale Wirtschaftlichkeit durch passgenaue Anpassung an die Marktbedingungen.
Zukünftige Marktentwicklung und strategische Implikationen
Die Vorteilhaftigkeit der Ost-West-Ausrichtung dürfte in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Mit dem fortschreitenden Ausbau der Photovoltaik in Deutschland und Europa wird der Preisverfall in den Mittagsstunden noch ausgeprägter werden. Schon heute ist an sonnigen Tagen der „Duck Curve“ Effekt – benannt nach der entenförmigen Kurve der Residuallast – deutlich zu beobachten.
Für Investoren, die heute in Photovoltaik-Freiflächenanlagen investieren, hat die Ausrichtungsentscheidung langfristige Auswirkungen. Die Anlagen werden über 30 Jahre oder länger betrieben, und die Ausrichtung kann nachträglich nicht oder nur mit erheblichem Aufwand geändert werden. Eine zukunftsgerichtete Planung, die die zu erwartenden Marktveränderungen berücksichtigt, ist daher unverzichtbar.
Auch regulatorische Entwicklungen könnten die Attraktivität von Ost-West-Anlagen weiter stärken. Diskutiert werden beispielsweise netzabhängige Einspeiseentgelte, die die Netzfreundlichkeit von Erzeugungsprofilen finanziell honorieren würden. Solche Ansätze würden die wirtschaftlichen Vorteile der gleichmäßigeren Einspeisung von Ost-West-Anlagen zusätzlich verstärken.
Fazit: Differenzierte Betrachtung statt pauschaler Empfehlungen
Die Frage der optimalen Modulausrichtung veranschaulicht exemplarisch den Wandel in der Photovoltaikbranche – von der einfachen Maximierung der Erzeugungsmenge hin zur Optimierung des Ertragswerts. In einem zunehmend komplexen und volatilen Energiemarkt müssen alle Aspekte eines Solarprojekts – von der Modulauswahl über die Ausrichtung bis zur Vermarktungsstrategie – ganzheitlich betrachtet werden.
Die Ost-West-Ausrichtung bietet in diesem Kontext eine überzeugende Alternative zur klassischen Südausrichtung. Trotz etwas geringerer absoluter Erträge kann sie durch höhere Marktwerte, bessere Flächennutzung und netzfreundlichere Einspeisung eine insgesamt überlegene Wirtschaftlichkeit erzielen.
Für Investoren bedeutet dies: Die pauschale Annahme, dass südausgerichtete Solaranlagen stets die optimale Lösung darstellen, muss kritisch hinterfragt werden. Eine differenzierte Analyse der standortspezifischen Bedingungen und Marktparameter ist unerlässlich, um das volle wirtschaftliche Potenzial eines Photovoltaik-Projekts zu erschließen.
In einer Zeit, in der sich der Solarmarkt von garantierten Vergütungen zu marktbasierten Mechanismen bewegt, gewinnt die strategische Anlagenkonzeption an Bedeutung – und die Ausrichtungsfrage ist dabei ein entscheidender Faktor, der über die langfristige Rentabilität eines Solarprojekts mitentscheidet.